Zu seiner weithin bekanntesten Anwendung kommt das Eisenphosphat (Ferrum phosphoricum) bei Kindern mit akut fiebrigen Infekten in einem bemerkenswert symptomarmen Zustand mit geistiger Wachheit und zugleich körperlicher Entkräftung. In seiner Abhandlung geht es Jürgen Becker jedoch nicht allein um diese bewährte Akutverschreibung, sondern vor allem um ihr geistiges Prinzip und um typische seelische Ätiologien - akut wie chronisch. Denn chronisches Ferrum phos. war bislang kaum bekannt bzw. erkennbar verständlich.
Was für ein Stoff ist Eisenphosphat? Und wie stellt er sich in der Arzneimittelprüfung und in der Praxis dar? Zwei recht gegensätzliche Wesen sind im Ferrum-Phosphoricum vereint: Das harte, kraftvolle, maskuline, bodenständige Eisen trifft auf die fein-zarte, feminine, sprühende Leichtigkeit von Phosphor - eine recht konfliktträchtige Verbindung. Als Arznei hilft dieses androgyne Wesen bei der Aufgabe, beide Anteile in sich zu vereinen und zum eigenständigen Wesen zu werden. Denn das Ganze ist mehr als die Summe (oder gar Subtraktion) von Eisen und Phosphor - etwas Eigenes!
Die schwer vereinbare Gegensätzlichkeit kommt auch im Erleben der Patienten zum Ausdruck: viele phantasievolle Ideen und Vorstellungen, mit einer gewissen Tendenz zur Verdrehung der Tatsachen. Im chronischen Bild finden sich gehäuft Verwirrung in Bezug auf den eigenen Standpunkt oder der Geschlechtsidentität. Es offenbart eine tiefe existenzielle Verunsicherung, nicht selten von traumatischen Erlebnissen ausgehend, beispielsweise elterlicher Gewalt.
Becker berichtet über die Arzneimittelprüfung, die Themen wie Aggressivität, insbesondere gegen die Mutter, hervorbrachte. Aufschlussreich sind auch die Träume und ihre Symbole. Es geht um Männer- und Frauenrollen, um den Kampf der Geschlechter, um Transsexualität, um die Frage: Freund oder Feind? Neben persönlichen Erfahrungen aus der Arzneimittelprüfung spricht der Referent auch über manifeste körperliche Erkrankungen bei Patienten, v. a. Blutkrankheiten. Zwei charakteristische Fälle verdeutlichen die Problematik: Beim ersten Fall geht es um eine Hämochromatose in einer Art künstlichen Welt, beim zweiten Fall um die Verunsicherung der eigenen Geschlechtsrolle.
Einmal mehr entsteht ein für Becker typisches lebendiges Portrait des Mittels, mit allen Schwierigkeiten, aber auch einer möglichen Lösung: "Jeder vertritt klar und gelassen seine Position."
Aus: Becker, Jürgen: Ferrum phosphoricum. Die Verwirrung der Identität (BO-9130)
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