"Warum diese Eile?"
Dr. Norbert Enders, durch seine zahlreichen Bücher und internationalen Tätigkeiten weithin bekannt, gehört zu den dienstältesten homöopathischen Ärzten unserer Zeit. Als leidenschaftlicher Menschenfreund und stetiger Beobachter des vorherrschenden Zeitgeists konstatiert er eine bemerkenswerte Zunahme der Verordnungen von Spinnenarzneien in seiner Praxis. Zwar bleiben auch die (teilweise ähnlichen) Nachtschattengewächse aktuell und wichtig, weichen jedoch immer häufiger dem destruktiveren Wesen der Spinnen. Beide Arzneigruppen überschneiden sich in mancherlei Hinsicht (beispielsweise Hyoscyamus und Tarantula). Umso wichtiger wird es, ihre Vertreter klar zu differenzieren.
"Die Zeit der Spinnen rückt immer näher."
Welche Gründe kommen für diesen Wandel in Frage? Wie äußert sich der Spinnen-Zeitgeist beim einzelnen Menschen? An welchen Symptomen und Zeichen können wir erkennen, dass wir einen Spinnen-Patienten vor uns haben? Wie kann man die Spinnen von anderen Arzneien unterscheiden? Welche Rolle kommt dem Behandler in einem spinnenhaften Heilungsprozess zu? Diesen Fragen geht Dr. Enders in seinem jüngsten Berliner Seminar nach - auf die für ihn so typische, einfühlsame Weise, die vom Genius der Arzneien tief inspiriert und berührt ist.
Spinnen sind Meisterinnen der Anpassung und Täuschung, in der geduldigen Hoffnung, dass ihnen eine Beute ins Netz geht. In ihrer Wesenhaftigkeit und in ihrem Verhalten repräsentieren sie archaische Welten, die der heutige Mensch weitgehend verbannt hat, zugunsten einer kalten, rationalen Grundhaltung. Doch die verdrängten Spinnen und andere archaische Wesen (wie die Schlangen) klopfen vehement an die Tür unseres Bewusstseins und erinnern auf ihre Weise an unsere zunehmende Entfremdung von einem heilen Menschsein. Eine ihrer Heilungsbotschaften lautet: Das eigene Hässliche ansehen!
Ausdruck dieses Zeitgeists ist die ständige (vermeintliche) Zeitnot einer seelenlosen, mechanischen Roboterhaftigkeit, im Verlangen nach totaler Kontrolle. Dieses atem- und rastlose Streben drückt sich auch in der sykotischen Tendenz zur spinnenhaften Vernetzung aus: Internet und Smartphone-Sucht rund um die Uhr, nichts geht mehr schnell genug! Der Preis dafür: feinnervige Unruhe und Kälte auf allen Ebenen, mit Nerven- und Kopfschmerzen, Neuralgien, Arthritis oder Asthma. Darin zeigt sich die für alle Spinnen typische Affektion der Nerven und des Sensoriums!
Auch im sozialen Bereich lässt sich eine wachsende Unfähigkeit zur direkten und positiven Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen beobachten: Narzissmus, Sex ohne Partnerbezug und eine Neigung zu immer extremeren Perversionen legen Zeugnis davon ab. Auch Elternschaften gestalten sich heute gehäuft lieblos, mit einem Mangel an aktiver, achtsamer Zuwendung und Fürsorge: Der Blick aufs Smartphone wird wichtiger als der aufs Kind...
Kein Wunder also, dass immer mehr Kinder in die Praxen kommen, die aufgrund ihrer Probleme und Symptome auf eine Spinnenarznei verweisen. Ihre gesunde geistig-seelische Entwicklung ist durch den chronischen Mangel an Geborgenheit ernsthaft gefährdet. Daraus erwächst nicht selten eine kompensatorische (Fehl-)Entwicklung hin zum Einzelgängertum, Negativismus/Fatalismus, zu einem existenziellen Unbehagen, das zur Grundhaltung dem Leben gegenüber wird, eine verzerrte Wahrnehmung der Realität, die in gesteigerter Aggressivität, Rücksichtslosigkeit und in einem Empathiemangel zum Ausdruck kommt.
Denn eigentlich lieben die Spinnen es, gestreichelt zu werden - eine unerfüllte Sehnsucht nach der Anima, dem weiblichen Pol, der sich hinter der Kälte und Brutalität verbirgt. Gefordert ist eine Auseinandersetzung mit dem Weichen, dem Zarten, dem Urweiblichen in Mann und Frau. Auf der Suche nach der schmerzlich vermissten Herzenswärme geht es darum, dem Weiblichen mehr Raum zu geben und es neu zu integrieren. Spinnenarzneien können dabei behilflich sein.
Umfassend wie nie zuvor porträtiert Enders hier die Spinnenwelt und ihre wichtigsten Vertreter, auch anhand ausführlicher Fallgeschichten und vieler weiterer Erlebnisse. Zum tieferen Verständnis dieser besonderen Arzneien spannt er einen großen Wissensbogen von ihren substanziellen Eigenschaften (Chitin-Panzer, Netz, Gift etc.), ihrer Anmutung und ihrem Sozialverhalten hin zu den alten Mythologien. Dabei entwickelt er ein tiefes Verständnis für ihren Krankheits- und Heilungsprozess. Die verschiedenen Spinnenarten und ihre Arzneibilder werden, auch in der Differenzierung untereinander, plastisch dargestellt und resümierend zusammengefasst. Enders' feines Empfinden und Mitgefühl für die kindliche Seele des Patienten wird darin auf besonders sympathische Weise sichtbar und erfahrbar.
Sein Spinnen-Motto: "Mögen Deine Sinne sich im Herzen vereinen und erlösen."
Einige Stichworte zu den besprochene Arzneien
1. Tarantula cubensis/hispanica:
Gefühl ausgeschlossen zu sein. Alle verbünden sich gegen mich. Aggressiv und destruktiv auf allen Ebenen.
2. Mygale lasiodora:
Verzerrtes Ich durch grenzüberschreitende Übertreibung. Dominanz der sinnlichen Bedürfnisse. Erotischer Genuss als offensive Herausforderung. Ich bin der Beste! Inszenierung unverwüstlicher Jugend. Wie falle ich am besten auf? Ausdehnungsempfindung. Klinik: Übertrieben geblähter Bauch mit Übelkeit, Durchfall frühmorgens.
3. Latrodectus mactans:
Lähmige Beine. Gefühl von Zugeschnürtheit. Angina pectoris.
4. Theridion curassavicum:
Verwirrtes, übersteigertes Sensorium. Empfindlichkeit, Hyperästhesie. Größtes sensorisches Leiden. Übelste Reisearznei. Genius: Der Fall aus dem Netz. Dissoziierte Verwirrung der Wahrnehmung von Raum, Zeit, Selbst und Welt. Zeitmangel als größtes Problem.
5. Aranea diadema:
Die kälteste Spinne (eiskalt, bis in die Knochen). Stärkster instinkthafter Rhythmus. Exakte Ordnungsliebe, filigrane Tätigkeiten. Er muss der Beste sein. Klinik: Rheuma und Asthma, Verschlechterung durch Kälte und Feuchtigkeit, Vergrößerungsgefühl, Neuritis des Nervus ulnaris. Lösung: Raus aus sadomasochistischen Beziehungen.
Vorgestellte Fälle und Fallbeispiele
1. Hyperaktivität, multiple Ticks, Zähneknirschen, Ekzeme, Folge von unerwiderter Liebe → Tarantula
2. Verhaltensstörungen mit Gewalttätigkeit → Tarantula
3. Psychose → Tarantula
4. Hyperkinese → Tarantula
5. Multiple Sklerose → Tarantula
6. Posttraumatische Belastungsstörung → Tarantula
7. Folgen von Liebeskummer → Tarantula
8. Tourette-Syndrom → Mygale lasiodora
9. Heuschnupfen, Kopfschmerzen, ängstliche Unruhe → Latrodectus mactans
10.Periodisch wiederkehrende Depressionen → Theridion curassavicum
11. Asthma → Aranea diadema
Mit umfangreichem visuellem Seminarmaterial: Arzneimittelbild-Texte und Falldokumentationen im PDF-Format!
Gegenüber Spinnen haben wir Menschen ein sehr ambivalentes Verhältnis: Einerseits werden sie gefürchtet, gehasst und als bedrohlich empfunden (man erinnere sich an die riesige Spinne in "Herr der Ringe"), sie rufen Ekelgefühle hervor und verenden daher oft in Staubsaugern.
Andererseits werden Spinnen schon seit Menschengedenken in vielen Kulturen hoch geachtet, nicht nur wegen ihrer faszinierenden Netze, in denen sich lästige Moskitos verfangen, sondern auch als Personifikation weiblicher Schicksalsmächte, die in der Mythologie vieler Völker als Moiren, Parzen, Nornen oder Zorya bekannt sind. Diese Schicksalsgöttinnen treten zumeist als Trio auf: Die Erste spinnt den Lebensfaden, die Zweite bemisst dessen Länge und Dicke, die Dritte schneidet ihn schließlich ab. Selbst die Götter haben nicht die Macht, sich ihnen entgegenzustellen. Somit sind die Menschen ihrem persönlichen Schicksal, dem "Geschickten", erst recht ausgeliefert. Wie gehen wir mit diesen Mächten um? Ausgeliefert und ohne Kontrolle, missbraucht, gefoltert, gebunden, gefesselt, verstrickt, ohnmächtig zusehen müssen - oder schöpferisch verwandelt, achtsam, transformiert und gelöst?
Diese Fragen und Empfindungen gehören zu den zentralen Themen der Familie der homöopathischen Spinnenmittel, die Andreas Krüger und Dr. Beate Latour uns in ihrem gemeinsamen Seminar näher bringen. Im Rahmen der Reihe "Homöopathie und Schamanismus Hannover" weben die beiden ReferentInnen ein buntes Netz aus Homöopathie-Vortrag, schamanistischen Reisen und innovativen Aufstellungs-Formaten wie der Schattenintegrativen Aufstellung (SIA) und der Arzneimittelaufstellung (AMEA).
Das eingespielte ReferentInnen-Duo nimmt uns mit auf die Reise in das "Herz der Finsternis", die sonst schwer zugängliche Welt der Spinnentiere, die nach ganz eigenen, uns oft gnadenlos und kalt erscheinenden Gesetzen funktioniert, aber einige interessante Arzneien mit großer Heilkraft in sich birgt.
Besprochene Mittel: Tarantula hispanica, Aranea diadema, Scorpio, Androctonus, Ixodes ricinus
Themen der Spinnen:
- Egoismus und Egolyse
- Spinnenmütter und Missbrauch
- Durchsetzung und Abgrenzung
- Transformation
- Macht und Ohnmacht
- Kontrolle und Kontrollverlust
- Effektivität
- Missbrauch und Folter
- Verschlingende Sexualität ohne Romantik
- UFOs und Aliens
- Achtsamkeit
- Geben und Nehmen
- (emotionale) Eiseskälte
- Verstrickung, Seile und Schnüre
- Rhythmus und Tanzen
- Ruhelosigkeit
- Periodizität
- Überempfindliche Sinne
- Rose - sexuell gewaltätige Mutter
- Fesseln
- Avatar (Schöpfer)
- Eiseskälte
- Arbeitswut
- Kannibalismus
- schwacher missachteter Vater
- Ruhelosigkeit
- Ohnmacht
- aus dem Netz gefallen
Aus: Krüger, Andreas; Latour, Beate: Spinnen - Eine Reise ins Herz der Finsternis (H-291)
In der Begegnung mit der Spinne, insbesondere der Kreuzspinne Aranea, tritt das Schicksal symbolisch selbst in Erscheinung. Schon von jeher spinnen die Spinnen in Märchen und Mythen unsere Schicksalsfäden und können somit Schicksal erschaffen und auch wandeln. Der Versuch, sich über ihre Macht hinwegzusetzen, ist nicht nur zwecklos, sondern kann auch gefährlich werden. Sich ihnen hinzugeben bedeutet, sich von ihnen "fressen", einverleiben und somit wandeln zu lassen. Andreas Krüger verweist in seinem Vortrag dazu beispielsweise auf schamanistische Initiationsrituale, bein denen das "Gefressenwerden" Voraussetzung für den neuen Leib des Schamanen ist.
Der "Spinnenruf des Schicksals" fordert, unserer eigenen innersten Berufung zu folgen. Dieser Ruf wird häufig als erschreckend und beängstigend erlebt, vor allem dann, wenn wesentliche Anteile des eigenen Seins bislang ungelebt geblieben sind. So können sich auf dem Initiationsweg eines Menschen durchaus sehr dunkle, grausame und möglicherweise abstoßende Aspekte des eigenen Lebens zeigen. Werden sie schließlich angenommen und in die eigene Persönlichkeit integriert, kann eine tiefe Wandlung beginnen und das eigene Schicksal neu gestaltet werden.
Andreas Krüger erzählt auf Basis seiner eigenen Erfahrungen und Begegnungen von großen Transformationen des Lebens, auch anhand eines spannenden Fallbeispiels: Ekel vor Genitalien. Den astrologischen Bezug der Spinne zum Schicksalsplaneten Pluto (in Verbindung mit Saturn und Uranus) erörtert Michael Antoni gewohnt spannend und lehrreich. Im weiteren betrachtet Janne Ellenberger die zwei anderen Schicksalsgöttinen (Atropos Belladonna und Lachesis) und unternimmt eine differenzialdiagnostische Analyse gegenüber Belladonna, Lachesis und Lac Caninum. Eine geführte Trance von Andreas Krüger ermöglicht eine persönliche Begegnung mit der inneren Spinne und rundet die Thematik ab. Dieser Sonntag lässt einen neuen und oftmals ungewohnten Blick auf die Spinnen-Mittel entstehen.
Aus: Krüger, Andreas; Antoni, Michael; Ellenberger, Janne: Spinnen - Das Schicksal zersingen (SO-161)
Querverweise & weitere Hauptthemen der Titel
Aranea Latrodectus mactans Mygale Scorpio Tarantula hisp. Theridion
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