Medorrhinum. Nosoden im Wandel der Zeiten V

Über die Reihe "Nosoden im Wandel der Zeiten"

Die Verordnung von Nosoden aus verschiedenen Perspektiven

Die meisten Homöopath*innen erheben den Anspruch, klassisch oder genuin zu arbeiten und doch unterscheiden sie sich in ihren homöopathischen Herangehensweisen bisweilen erheblich. Spielt bei der Fallanalyse beispielsweise die Miasmatik eine Rolle? Werden ergänzend organotrope oder Zwischenmittel eingesetzt? Welche Potenzen und Verabreichungsformen werden bevorzugt? Und wie steht es um den Einsatz von Nosoden?

Nosoden sind eine große und zugleich sehr spezielle Gruppe homöopathischer Arzneien, da sie aus Erreger- bzw. Krankheitsprodukten gewonnen werden. Manche Homöopathen verschreiben sie wie andere Arzneien, also allein anhand ihrer (geprüften) Ähnlichkeit. Andere verordnen sie auch aufgrund miasmatischer Überlegungen oder als Zwischen-, Regenerations- bzw. Entblockademittel vor oder während einer Behandlung. Welche dieser Anwendungsweisen sind bewährt, welche womöglich problematisch? Gibt es verlässliche Regeln für die Nutzung von Nosoden?

Diesen Fragen stellen sich Veronika Fischer und Astrid Kuhlmann in ihrer Homöopathiesalon-Reihe " Nosoden im Wandel der Zeiten". Dazu gehen sie der geschichtlichen Entwicklung von Nosoden nach und verknüpfen sie anhand aussagekräftiger Fallbeispiele mit ihren eigenen langjährigen Erfahrungen. Dabei eröffnen sich manch neue Blickwinkel für den Nosodengebrauch in der täglichen Praxis.

Während der erste Vortrag (HS-219 Grundlagen) dem Umgang mit Nosoden allgemein gilt, widmen sich die weiteren Vorträge jeweils einer bestimmten Arznei. Darunter sind sowohl bekannte Erbnosoden (z. B. Medorrhinum oder Psorinum) als auch kleinere, jedoch praktisch sehr hilfreiche Arzneien wie Pyrogenium.

Teil 5 der Reihe: Medorrhinum

Für diesen fünften Teil der Nosodenreihe hat sich Veronika Fischer intensiv mit Medorrhinum befasst, der Nosode der Gonorrhoe und des sykotischen Miasmas. Ihre umfassende Betrachtung dieser wichtigen Erbnosode beginnt mit dem Mythos der Kugelmenschen in Platons Symposium. Als diese Doppelwesen den Göttern zu mächtig wurden, zerteilte Zeus sie in zwei Hälften. Seither suchen wir als "halbe" Menschen nach unserer fehlenden Hälfte - als wesentliche Triebfeder von Eros und Sexualität. Eine kugelige Doppelgestalt (und die Möglichkeit ihrer Spaltung) weist auch die Diplokokke Neisseria Gonorrhoeae auf, der Erreger des Trippers und Ausgangssubstanz der Nosode.

So ist Medorrhinum stets auf der gierigen Suche nach Mehr, insbesondere einem noch perfekteren Partner - ein Grund für seine Neigung zur Promiskuität. Der enorme Lebenshunger mit (Sehn)Sucht nach Fülle, Schönheit, Materiellem, intensiven Erlebnissen und häufig auch Drogen speist sich aus dem ursprünglichen Grundgefühl eines Mangelzustands. Charakteristischer Ausdruck dieses Hungers sind Eile, Getriebenheit, Unruhe und Unkonzentriertheit. Hier grenzt die Referentin Medorrhinum vom ähnlich getriebenen, eiligen und unruhigen Tuberculinum ab.

Hintergründe (Causae) können frühe Verwahrlosung / Vernachlässigung, Alkoholmissbrauch der Eltern und verfrühte Selbständigkeit sein. Daher treffen wir Medorrhinum nicht nur - wie im gängigen Klischee - bei promisken Lebemännern an, sondern auch bei eher schüchternen, gehemmten Menschen sowie manchen Sozialarbeitern oder Streetworkern, die sich um die Gestrandeten kümmern und die Welt in einen besseren Ort zu verwandeln suchen.

Wie kam es überhaupt zu der Idee, Tripper-Ausfluss zu einem homöopathischen Mittel zu verarbeiten? Warum wurde Medorrhinum für Burnett zu einer viel verordneten Arznei? Die studierte Historikerin Veronika Fischer vermittelt aufschlussreiche Einblicke in die Geschichte und das Wesen der Gonorrhoe, auch im Unterschied zur Syphilis. Im Weiteren gibt sie einen prägnanten Überblick über die wichtigsten Symptome und Charakteristika des Mittels, auch aus der Perspektive unterschiedlicher Homöopathielehrer (Vithoulkas, Morrison, Julian und Lewis).

Das herausragendste Element in den Arzneimittelvorstellungen der Homöopathie-Salon-Betreiberinnen sind ihre klinisch wie thematisch passenden, lebendig aufbereiteten Fälle und ihre allgemeine Praxiserfahrung. Astrid Kuhlmann trägt dazu Erfahrungen aus dem Veterinärbereich bei: So steht auch bei Tieren, insbesondere Pferden, die Medorrhinum (gehäuft bei Urogenitalerkrankungen) benötigen, ebenfalls das Eilige, Unruhige im Vordergrund.

Veronika Fischer stellt vier interessante Fälle vor: ein 60-jähriger, stets eiliger Partygänger mit Heuschnupfen, der immer so wirkte "als ob er gerade auf dem Sprung sei"; eine ebenfalls hastige, 53-jährige Frau in den Wechseljahren mit Knieproblemen, weiteren typischen Symptomen und einem interessanten familiären Hintergrund. Der Fall eines 6½ jährigen Mädchens mit Dellwarzen verdeutlicht weitere medorrhinische Krankheitsaspekte, beispielsweise die eigentümliche Empfindung eines "geteilten Gesichts". Schließlich berichtet die Referentin noch von einem 48-jährigen, "innerlich wie angetriebenen" Mann mit Gelenksproblemen u. a. Beschwerden, viel früherem Drogengebrauch, Tripper und einer intensiven Lebensführung.

Einmal mehr gelingt es der erfahrenen Praktikerin Veronika Fischer, bekannte und unbekannte Seiten einer wichtigen Nosode in ihrer Essenz zu rekapitulieren und anhand von Fällen alltagstauglich und lebendig als reales Erscheinungsbild konkreter Patient*innen in der Praxis zu demonstrieren!

Mit visuellem Material (Handout, Fälle) im PDF-Format!